Angenrod

Angenrod und „Klein-Jerusalem“

Angenrod hatte die prozentual größte jüdische Gemeinde der Umgebung, nach dem osthessischen Rhina die zweitgrößte des heutigen Hessen. Bereits 1650 wurden zwei jüdische Familienoberhäupter im Dorf erwähnt. Aufschwung gab es im Jahr 1736, als der örtliche Junker zwölf kleine Häuser bauen ließ und dort jüdische Familien einwies, von denen er Extrasteuern kassierte. Der Hausbau ist einzigartig für einen Vertreter des niederen Adels, in anderen Orten ist eher Protest aufgekommen, wenn Juden in den Schutz des Dorfes oder der Stadt gelangen wollten.

Die Häuschen sind über die Jahrhunderte mehrfach umgebaut worden. Die Angenröder Judengasse wurde im Volksmund „Klein-Jerusalem“ genannt. Dort entstand eine repräsentative Synagoge. Sie wurde 1797 eröffnet, es war ein prächtiger Fachwerkbau mitten im Ort. 1861 waren 42 Prozent der OrtsbewohnerInnen jüdisch. Sie betrieben Gaststätten, waren HändlerInnen, sangen im Chor und arbeiteten im Gemeinderat mit. Im September 1942 deportierten die NationalsozialistInnen die letzten acht Angenröder JüdInnen, darunter zwei Kinder.

SPEIERHAUS

LERNORT | GEDENKSTÄTTE
36304 Alsfeld-Angenrod
Leuseler Straße 3

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vom 1. März bis zum 31. Oktober jeden 2. Sonntag
im Monat von 14 bis 16 Uhr

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650 Jahre Landjuden

Bereits im Mittelalter, also bis etwa 1500, lebten JüdInnen in den Ländern, die heute Deutschland bilden. Damals war es ChristInnen verboten, überhöhte Zinsen auf verliehenes Geld zu nehmen.

Da sprangen jüdische HändlerInnen ein, zumal sie kein Handwerk ausüben durften. Deshalb traf man sie eher in Städten an, so ab 1300 in Alsfeld, das an der Handelsstraße von Frankfurt nach Leipzig lag. 

Später wurden jüdische Familien immer wieder aus den Städten vertrieben und fanden Schutz in Dörfern, wenn sie Sondersteuern zahlten. Das Landjudentum entwickelte sich.

Im 19. Jahrhundert verödeten die Dörfer, auch weil Missernten die Bevölkerung trafen und die Adligen die alten Lehensverhältnisse auslösen konnten. Auswanderung und Landflucht waren stark.

JüdInnen wurden zunehmend gleichgestellt, sie bauten Synagogen. Diese entstanden dort, wo einige Familien für das Gotteshaus zusammenlegten. Eine der ersten Synagogen war die in der Judengasse von Angenrod, erbaut 1797. Die Synagoge von Alsfeld wurde erst 1834 in einem umgebauten Fachwerk-Wohnhaus eröffnet, es entstanden die Synagogen in Ober-Gleen, Kestrich, Homberg und Romrod. 

Die Emanzipation brachte auch AntisemitInnen zusammen, gerade aus den ländlichen Räumen kamen nach 1871 antisemitische Reichstagsabgeordnete nach Berlin. JüdInnen wurden selbstbewusste MitbürgerInnen. Bis in die 1930er Jahre hinein setzte sich die Landflucht fort, viele JüdInnen gingen in die Städte, wo sie bessere Lebensbedingungen vorfanden. 

Ab 1933 setzten Ausgrenzung, Gewalt und zunehmende Boykottmaßnahmen jüdische Menschen unter Druck. Viele JüdInnen wanderten aus, es wurde aber schwieriger, Aufnahmeländer zu finden. Die Pogromnacht vom 9. November 1938 machte den in Deutschland Verbliebenen den Ernst der Lage klar. Bis 1940 konnten noch einige der Verfolgten flüchten. Im September 1942 verschleppten die Sicherheitskräfte die letzten jüdischen VogelsbergerInnen. Sie wurden ausnahmslos ermordet.